Um die Currywurst wird zwischen Ruhrgebiet, Hamburg und Berlin heiß gestritten. Kalte Phosphatstange schmeckt zugegebenermaßen auch nicht besonders, wobei es diskursiv meist nur nachgeordnet um die Beschaffenheit des Schweinebräts geht, hingegen vorrangig um die geistige Urheberschaft der Currysauce. Die Hauptstadt nimmt diese nicht ganz unfundiert in Anspruch: Nahe des S-Bahnhofs Charlottenburg hat sie bekanntlich sogar eine Gedenkplatte eingelassen, zur Erinnerung an Herta Heuwer, die mutmaßliche Schöpferin des volkstümlichen “Kraftriegels” nach SPD-Altkanzlerjargon.
Genossen wird die Spezialität freilich nicht nur von Genoss*innen und zu sehr überwiegendem Anteil aus dem Kartonschälchen. Zu dessen Herkunft gibt es ausnahmsweise keine Kontroverse. Denn es handelt sich unstrittig um eine Brandenburger Erfindung.
Hermann Henschel (1843-1918) aus Luckenwalde war Buchbinder und lernte nicht nur beruflich eine Abneigung gegen Druckerfarbe zu entwickeln. Im 19. Jahrhundert wurden Lebensmitteleinkäufe auf dem Markt verbreitet in Zeitungen eingeschlagen, um knappes Papier sinnvoll wiederzuverwenden – wodurch die Pigmente aber regelmäßig stark auf das Essen abfärbten. Henschel zum Graus, der viel Wert auf Hygiene legte. Um weniger gesundheitsschädliche Optionen zu schaffen, beschloss er – erst 23-jährig – mit Druckpresse und Zellulosefasern zu experimentieren.
Das Ergebnis im Jahr 1867 war der weltweit erste Pappteller: Weiß, gewellter Rand, geprägtes Muster, dem heutigen Produkt bereits sehr ähnlich. Schon bald gründete Henschel, unterstützt durch ein Darlehen seines Vaters, eine Papierwarenfabrik und begann erfolgreich neben Tellern auch Becher, Tüten und Beutel in Serie herzustellen. Das Unternehmen existierte für mehr als 140 Jahre (in der DDR als “VEB Pappe und Papier”), bis Ende 2012, und produzierte in Spitzenzeiten monatlich zwischen 15 und 25 Millionen Teller. In den ehemaligen Fabrikräumen befinden sich heute die Geschäftsstelle einer Krankenkasse, eine Werbeagentur und ein Träger der beruflichen Weiterbildung. Ganz in der Nähe bleibt ein Weg nach Henschel benannt.
Auch das Prinzip des bedruckten Bierdeckels wird Hermann Henschel zugeschrieben. Beim nächsten Mensa-Stammtisch empfiehlt sich also ein Prosit auf den großen Erfindergeist.
Maplinks
* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.50636&mlon=13.30277#map=17/52.50636/13.30277 – Herta-Heuwer-Gedenktafel nahe der Kantstraße
* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.0927&mlon=13.1634#map=15/52.0927/13.1634 – Standort der ehemaligen Papierwarenfabrik in Luckenwalde
Mehr Lesestoff
* https://www.pnn.de/potsdam/brandenburger-erfindung-der-pappteller-fuer-die-wurst/22127784.html – Brandenburger Erfindung: Der Pappteller für die Wurst
* https://www.niederlausitz-aktuell.de/brandenburg/10057/schluss-mit-der-wurst.html – Schluss mit der Wurst auf Zeitungspapier
* https://www.maz-online.de/Lokales/Teltow-Flaeming/Neue-Ideen-fuer-traditionsreiche-Staette – Neue Ideen für traditionsreiche Stätte
* https://www.kirchenbote-online.de/artikel/detailansicht/news/suesses-auf-pappe – Süßes auf Pappe. Ostern ist durch, schon jetzt an Weihnachten denken 😉
Musiktipp
* https://www.youtube.com/watch?v=xxz4a5CDPkw – Friedemann Weise: „In der Kantine gibt es heute Currywurst“