Ein wenig sieht es nach einer geometrisch inspirierten Skulptur im Geiste von James Lee Byars oder Walter De Maria aus, minimalistisch und brutalistisch zugleich, was da in Adlershof umgeben vom Europa-Center steht. Es wirkt auch ein bisschen außerirdisch, oder wie ein gigantisches, dennoch einfaches Molekül: Zwei über eine Brücke miteinander verbundene, jeweils neun Meter große Stahlbetonkugeln mit einer Außenhaut aus Aluminium. So charmant die Vision kleiner grauer Wesen an Bord auch sei: Korrekt ist – tendenziell – die naturwissenschaftliche Assoziation, denn es handelt sich um eine ausgediente Forschungseinrichtung.
(Das weitere Ding in der Nähe, das einem UFO ähnelt, war übrigens früher ein Windkanal.)
Die heute unter Denkmalschutz stehenden sogenannten „Thermokonstanten Kugellabore“ entstanden um 1960 auf Veranlassung des Zentralinstituts für Physikalische Chemie (ZIPC) der DDR-Akademie der Wissenschaften (dessen bekannteste ehemalige Mitarbeiterin Angela Merkel sein dürfte, beschäftigt von 1978 bis 1990). Zweck der Konstruktion: Im Detail damals ein Militärgeheimnis, denn ihre besondere Eigenschaft sollte es sein, in ihrem Inneren über lange Zeit hinweg eine konstante Lufttemperatur zu halten, die Schwankungen von weniger als 0,01 Grad Celsius aufwies. Dies galt als eine wichtige Voraussetzung für präzise Messungen im Rahmen metallurgischer Experimente im Umfeld der Luft- und Raumfahrt. Die erforderlichen Dämmungsmaßnahmen lassen sich durchaus als wuchtig bezeichnen, die maßgebliche Isolationsarbeit leisteten Innenkugeln aus Schaumstoff von einem Meter Wanddicke. Ein ursprünglich um die Kernschalen verlegtes engmaschiges Leitungssystem für gleichbleibend temperierte Flüssigkeit wurde allerdings nie vollständig genutzt, zugunsten von einfach gehaltenen Heiz- und Kühlelementen im Deckenbereich des Innenraums zumindest einer Kugel. Darüber, ob die ambitionierten Ziele hinsichtlich der Temperaturkonstanz wirklich erreicht wurden, gibt es widersprüchliche Angaben, durchgängig war dies aber aufgrund systematischer und externer Störgrößen wohl nicht gewährleistet.
Bereits vor der Wiedervereinigung änderten sich vor Ort Forschungsbereiche und -methoden, und die Labore wurden zweckentfremdet. Im Gegensatz zu den nach 1998 abgerissenen Gebäuden des ZIPC blieben die Kugeln erhalten und fanden sich in das Ensemble der umgebenden Nachwende-Neubauten integriert. Sie sind außerhalb von geführten Touren nicht allgemein zugänglich.
Mit ihnen überlebt hat ihr volkstümlicher, mit etwas (oder etwas mehr) Fantasie nachvollziehbarer Kosename „Akademiebusen“. Etwaige Pläne von Aktionskünstler*innen, die beachtlichen Rundungen mit einem geeignet dimensionierten Kleidungsstück zu bändigen, sind nicht bekannt, sondern durch mich komplett erfunden. Es herrscht also auch weiterhin Frei-Kugel-Kultur.
Maplink
* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.4324&mlon=13.5365#map=15/52.4324/13.5365
Mehr Lesestoff
* https://www.berliner-woche.de/adlershof/c-wirtschaft/das-geheimnis-der-silberkugeln_a100202 – Das Geheimnis der Silberkugeln (2016)
* https://www.berliner-woche.de/adlershof/c-bildung/thermokonstante-labore-stehen-unter-denkmalschutz_a223255 – Die Silberkugeln von Adlershof (2019)
Bildhaftes und Tönendes
* https://www.adlershof.de/fileadmin/downloads/audio/gg_Busen.mp3 – Podcast der WISTA von 2014