#17: Herrenpartie
#17: Herrenpartie

#17: Herrenpartie

Neulich hatte ich ein bewusstseinserweiterndes Gespräch mit einem Kunden aus der Schweiz. Er bat um ein „Banner für die Brücke nach Auffahrt“.

Nun bin ich nicht für die Autobahnmeisterei tätig, sondern entwickle und pflege Webangebote – insofern brauchte es einige Sekunden intensiverer Synapsenverschaltung, um den Helvetismus angemessen in mein Vulgärpreußisch zu übersetzen. Der Kunde wollte natürlich einen Hinweis in seinem Online-Shop, dass sein Ladengeschäft am Brückentag nach Himmelfahrt geschlossen bleibe. Wir diskutierten die gegenseitigen sprachlichen Pekuliaritäten amüsiert weiter, wobei sich herausstellte, dass mein Zürcher Gegenüber wiederum keinen Schimmer hatte, was mit „Vatertag“ gemeint sei.

Vatertage im Sinne eines dem Muttertag vergleichbaren Ehrentages gibt es weltweit an den unterschiedlichsten Daten. In vielen europäischen Ländern und den USA fällt er auf den dritten Sonntag im Juni. Italien, Spanien, Portugal, Kroatien und das belgische Antwerpen begehen ihn am 19. März, dem Josefstag. Finnland und Estland feiern ihre Väter am zweiten Sonntag im November. Als rumpelnd-angeschickerten Massen-Biertransport zu Himmelfahrt erlebt mensch diesen Tag aber nur bei den Teuton*innen: Die Herrenpartie mit Bollerwagen ist eine spezifisch deutsche Tradition und erstreckt sich nicht auf Nachbarländer, auch wenn sie die Sprache teilen. Überdies entstand das Ganze in Berlin.

Angefangen hat das Spektakel der Überlieferung nach im 19. Jahrhundert. Im Zuge von Landflucht und Verstädterung war es vorrangig für Männer an Himmelfahrt populär geworden, gemeinsame Ausflüge ins grüne Umland zu unternehmen. Historiker*innen führen das auf mittelalterliche Bittprozessionen am 39. Tag nach Ostern zurück, die sich seit der Reformation sukzessive zu gemeinsamen Besäufnissen entwickelt hatten. Wo Nachfrage entsteht, wird diese üblicherweise auch bedient – und so war Berlin die erste deutsche Stadt, in der Herrentagsausflüge professionell als Kutschfahrt angeboten wurden. Federführend war der Unternehmer Simon Kremser (1775-1851), bereits Betreiber eines Pferdeomnibus-Dienstes und letztlich Namensgeber des bekannten Planwagentyps, der Platz für zwanzig Passagiere bietet und von bis zu vier Zossen gezogen wird. Wer sich diesen Service nicht leisten konnte oder wollte, nahm hingegen einfach den Handwagen zur Beförderung des kostbaren Gerstensafts. Befeuert wurde die Begeisterung noch von Werbeanstrengungen ansässiger Brauereien, die berechtigterweise Absatzperspektiven witterten. Als Himmelfahrt im Jahr 1934 schließlich ein deutschlandweiter gesetzlicher Feiertag wurde, waren Bierseligkeit und Kommerzialisierung längst zementiert.

Es stellte sich übrigens heraus, dass in der Schweiz seit 2009 tatsächlich ein „Vätertag“ existiert – inoffiziell, in diesem Jahr am Pfingstsonntag, 5. Juni. Dort versteht mensch ihn aber mit politischer Aussage als Tag zur Anerkennung väterlichen Engagements und zur Diskussion progressiver männlicher Rollenmodelle im Kontext geschlechterreflektierter Männerarbeit.

Mehr Lesestoff

* https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/05/bier-schnaps-und-bollerwagen-woher-kommt-der-vatertagsbrauch – National Geographic: Bier, Schnaps und Bollerwagen: Woher kommt der Vatertagsbrauch?
* https://www.tagesspiegel.de/berlin/tradition-des-vatertags-als-die-soehne-saufen-lernten/11769828.html – Tagesspiegel: Als die Söhne saufen lernten
* https://www.maenner.ch/mencare/vaetertag/ – Schweizer Vätertag 2022

Bildhaftes und Tönendes

* https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/warum-faellt-vatertag-auf-christi-himmelfahrt-100.html – SWR Wissen: Warum fällt Vatertag auf Christi Himmelfahrt?
* https://t1p.de/rbbvatertag – rbb Retro, Berliner Abendschau (1964): Nachlese Vatertag