Selbst wenn eine frühmorgendliche U- oder S-Bahn-Fahrt in Berlin das Gegenteil vermuten lässt: Untote existieren nicht und sind dem Bereich der Volkssagen und Populärunterhaltung zuzuordnen. Freilich heißt das nicht, dass jede*r Verstorbene auch ungestört die Gebeine übereianderlegen darf. Könnte er noch ein heiseres Lied davon singen, würde es Ritter Christian Friedrich von Kahlbutz (1651-1702) sicherlich tun.
Von Kahlbutz oder zeitgenössisch auch “Kalebuz” war ein brandenburgischer Kavallerieoffizier niederen Adels im Dienst von Kurfürst Friedrich Wilhelm, dessen Vita historisch überwiegend unbedeutend ist. Seine größten Meriten erwarb er sich im Schwedisch-Brandenburgischen Krieg von 1674 bis 1679, in dessen Folge er mit seinem Heimatort Kampehl nahe Neustadt (Dosse) als Rittergut belehnt wurde. Als Gutsherr soll er der Überlieferung nach ein – sanft ausgedrückt – unangenehmer Zeitgenosse gewesen sein, sexuell übergriffig, gewalttätig und despotisch gegenüber seinen Untertan*innen.
Dass mensch sich heute noch an von Kahlbutz erinnert, hängt also weniger mit einem bemerkenswerten Leben zusammen als vielmehr mit den ungewöhnlichen Konsequenzen seines Todes. Nachdem er 51-jährig an nicht näher beschriebenen inneren Blutungen starb, wurde er in der Gruft der Kampehler Kirche bestattet. Dort ließ mensch ihn fast ein Jahrhundert lang auch in Frieden, bis Umbauten am Gotteshaus im Jahr 1794 eine Exhumierung erforderten.
Zur Überraschung aller Beteiligten stellte sich heraus, dass der Junker unverwest geblieben und offenbar einer natürlichen Art der Mumifizierung unterworfen war: Der Leichnam inklusive einzelner Haare, der Zähne und Nägel war (und ist bis heute) beachtlich bewahrt. Ein Zutun des Bestatters konnte ausgeschlossen werden, die Gründe für den guten Erhaltungszustand sind nach wie vor unklar: Selbst medizinische Koryphäen ihrer Epochen wie Rudolf Virchow oder Ferdinand Sauerbruch fanden keine abschließende Antwort. Vermutet wird aber, dass die krankheitsbedingt abgemagerte Konstitution von Kahlbutz’ in Verbindung mit günstigen Austrocknungsbedingungen zur Konservierung beigetragen hat. Ein Giftmord am unbeliebten Rittersmann, der ihm als Nebeneffekt auch das Fell gerbte, kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.
Dem Zeitgeist entsprechend wurde die 1,70 Meter lange und nur noch 6,5 Kilogramm leichte Mumie mit wenig ethischer und physischer Sensibilität behandelt. Über Generationen musste der Körper für diverse Arten von Mumpitz herhalten. Napoleons Soldaten raubten ihm die Kleider, Studenten bemächtigten sich seiner Stiefel, und noch bis in das 20. Jahrhundert hinein wurde er von Betrunkenen und anderen “Scherzbolden” immer wieder aus seiner Gruft entführt, um in Neustadt und Umgebung nichtsahnende Opfer zu erschrecken. Ein paar Jahre verbrachte von Kahlbutz sogar als Ausstellungsstück im Wartezimmer eines örtlichen Mediziners.
Inzwischen liegt er zwar wieder fest und dauerhaft in seinen angedachten Ruheplatz gebettet, die interessierte Öffentlichkeit kann aber wochenends gegen Eintrittsentgelt nach wie vor einen Blick auf ihn werfen: Sein Sarg ist verglast und wird jährlich von einer vierstelligen Zahl an Tourist*innen besucht.
Maplink
- https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.8656&mlon=12.4579#map=15/52.8656/12.4579 – Wehrkirche in Kampehl mit Gruft
Mehr Lesestoff
- https://www.planet-wissen.de/geschichte/archaeologie/mumien/pwiedernackteritter100.html – Planet Wissen – Mumien: Der nackte Ritter
- https://buskompass.de/geschichte/kriminalfall-ritter-kahlbutz-578733/ – Buskompass: Kriminalfall Ritter Kahlbutz
- http://www.kalebuz.de/ – Website des Evangelischen Pfarramts Neustadt (Dosse), Kuratoren der Kahlbutz-Gruft
Bildhaftes und Tönendes
- https://www.youtube.com/watch?v=xfPnurRXrAo – Das biologische Wunder von Kampehl
- https://www.youtube.com/watch?v=13p4dTDxe10 – Amateuraufnahmen von Gruft und Mumie