Sie sind einen bis zwei Meter breit, viele hunderte Millionen Jahre alt, außerdem ganz schön schwer: die traditionellen Berliner “Schweinebäuche”, garantiert vegan – und komplett aus Granit.
Die Rede ist von den charakteristischen massiven Steinplatten auf Berliner Gehwegen, meist an den Seiten von Mosaikpflaster gesäumt. Ihren Namen bekamen sie im Volksmund, weil sie auf der Oberseite glatt beschnitten sind, sich aber nach unten stark auswölben – erinnernd an ein Hängebauchschwein eben. Auf diese Weise schaffen sich die tonnengewaltigen Klötze im märkischen Sand ein stabiles Bett ganz von selbst. Unter ihnen ruhen, gegen Frost geschützt, Frisch- und Abwasserleitungen. Die Kanäle für Strom, Gas und Telekommunikation hingegen verlaufen seitlich versetzt und sind unter den Pflastersteinen leichter für Wartungsarbeiten zugänglich.
Den ersten Einsatz soll das porzin anmutende Wegelement im Jahr 1824 gesehen haben, vor einer Weingaststätte am Gendarmenmarkt. Ein Erfolgsmodell, die die Füße der Gäste bar jeder Besudelung durch schlammig herumliegendes Ungemach hielt und sich in den folgenden Jahrzehnten durch höchstpersönlich-königliche Intervention über Stadt und Land ausbreitete. Im 19. Jahrhundert wurde das Material aus der Lausitz primär für den heimischen Bedarf herbeigeschafft, die DDR exportierte den teuren Granit aber in erheblicher Menge gen Westen – auch dort wurden Schweinebäuche zunehmend geschätzt. Neu verlegte Platten stammen heute aus finanziellen Gründen überwiegend aus chinesischer Produktion. Nachfrage an Nachschub ist da, denn hat ein Schweinebauch nach Jahrzehnten von Wind, Wetter und Fußtritten ausgedient, wird er üblicherweise einfach ersetzt und nicht generalüberholt. Letzteres wäre nämlich rechtlich gesehen für eine Wiederverwendung auf Gehwegen nötig und gilt als zu kostspielig.
In Parks und Grünanlagen dürften die Veteranen allerdings prinzipiell eingesetzt werden. Dort greift dann auch zum Beispiel die Vorschrift nicht, dass der Höhenunterschied zwischen zwei Platten maximal 15 Millimeter betragen darf. Also, wen es betrifft: Augen auf beim Joggen, nicht dass eine Schweinerei passiert!
(Hinweis: Für dieses Sammelsurium kamen weder Borstentiere noch Hinkelsteine zu Schaden.)
Mehr Lesestoff
- https://www.bauwelt.de/das-heft/heftarchiv/Schweinebauch-3479410.html – Bauwelt: Schweinebauch
- https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0513/berliner-gehwegpflaster-buergersteige-und-pflasterung-051322.htm – Berliner Gehwegplaster: Millionenfach getreten
- https://www.welt.de/print-welt/article93105/Buergersteige-haben-eine-Wampe-unten-drunter.html – Bürgersteige haben eine Wampe, unten drunter
- https://www.sueddeutsche.de/kultur/physiognomik-der-staedte-flanieren-ueber-schweinebaeuche-1.4794777 – Physiognomik der Städte: Flanieren über Schweinebäuche
- https://www.morgenpost.de/berlin/article205640229/Die-Spur-der-Steine-fuehrt-von-China-nach-Berlin.html – Die Spur der Steine führt von China nach Berlin