Bei einem Spaziergang in der Feldmark nahe Herzberg an der Elster, gleich an der Bundesstraße 87, kann mensch über eine ungewöhnliche Erscheinung mitten auf einem Acker… nun, stolpern ist vermutlich der falsche Ausdruck. Lädierte, aber immer noch massive Gesteinsquader in regelmäßigen Abständen und in zu 120 Grad gedrehten Reihen stellen sich personenstattlich und unübersehbar in den Weg. Hätte es in der Prähistorie bereits Beton gegeben, wäre die Vermutung einer geheimnisvollen Kultstätte möglich – Stonehenge in Südbrandenburg?
Die wahren Umstände sind natürlich nüchterner und um Größenordnungen rezenter. Die gigantischen Blöcke dienten vor etwa 80 Jahren dazu, das seinerzeit höchste Bauwerk Europas und zweithöchste Bauwerk der Welt mit Stahlseilen abzuspannen: den Masten des Deutschlandsenders III. Es handelte sich um einen Langwellen-Rundfunksender, der im Jahr 1939 in Ergänzung zu den Deutschlandsendern I und II in/bei Königs Wusterhausen in Betrieb genommen wurde. Die Entscheidung, den 337 Meter hohen selbststrahlenden Turm mit den zugehörigen Anlagen bei Herzberg zu errichten, traf NS-Propagandaminister Joseph Goebbels bereits kurz nach der Machtergreifung 1933 persönlich. Ausschlaggebend waren politische Gründe (die Region galt als annähernder geographischer Reichsmittelpunkt in den Grenzen von 1914), aber auch der Umstand, dass die örtlichen Gegebenheiten für die angestrebte und verwirklichte Sendestärke von 500 Kilowatt als günstig angesehen wurden – der Deutschlandsender III wurde somit auch für die Zeit seines Bestehens zur leistungsstärksten Einrichtung ihrer Art auf dem Kontinent. Verbreitet wurde auf 191 Kilohertz ein überregionales Programm des Großdeutschen Rundfunks, das von der Mittelwellenkette der Reichssender unabhängig betrieben wurde und in Gegensatz zu dieser keine Lokalfenster aufwies. Die Inhalte waren vordergründig geprägt von Unterhaltungsangeboten, tatsächlich aber war der Deutschlandsender ein für das Regime wichtiges Instrument auch der Auslandspropaganda.
Kurz vor Kriegsende, am 21. April 1945, gelang es US-amerikanischen Jagdbombern nach mehrtägigen Versuchen, den Komplex irreparabel zu beschädigen; kontrollierte Demontagen und Sprengungen übernahm in den Nachkriegsjahren die sowjetische Armee. Auf dem Areal der Betriebsgebäude erbaute die DDR Ende der 1950er Jahre ein Wasserwerk; die von der B87 abgehende halbkreisförmige Straße, die zur ehemaligen Mitarbeitenden-Wohnsiedlung führt, trägt jedoch immer noch den Namen „Am Sender“. Das Fundament des Sendemasten lässt sich ebenfalls noch besichtigen.
Maplinks
- https://www.openstreetmap.org/?mlat=51.7166&mlon=13.2643#map=14/51.7166/13.2643 – Standort des ehemaligen Sendemasten
- https://www.openstreetmap.org/?mlat=51.7086&mlon=13.2642#map=14/51.7086/13.2642 – Frühere Wohnsiedlung „Am Sender“
- https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.3052&mlon=13.617#map=17/52.30520/13.61700 – Standort des Deutschlandsenders I, Königs Wusterhausen
- https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.2736&mlon=13.6152#map=15/52.2736/13.6152 – Standort des Deutschlandsenders II, Zeesen
Mehr Lesestoff
- https://www.lr-online.de/lausitzer-geschichte-hitler-toente-von-herzberg-ins-reich-38051454.html – Lausitzer Rundschau (23.11.2018): Hitler tönte von Herzberg ins Reich
- https://www.lr-online.de/lausitz/herzberg/ns-propaganda-im-radio-buch-ueber-deutschlandsender-iii-mit-ganz-neuem-material-45197257.html – Lausitzer Rundschau (14.4.2020): Buch über Deutschlandsender III mit ganz neuem Material
- https://oldtimeradio.de/programm-R-deutschlandsender.php – Historische Zeitlinie zum Deutschlandsender, von den Anfängen in der Weimarer Republik bis zur Neugründung als „Stimme der DDR“ und schließlich dem Aufgehen im Deutschlandradio. Mit beispielhaften Programmtafeln und Hörproben.
Bildhaftes und Tönendes
- https://www.youtube.com/watch?v=bi6GlWIYCbQ – Amateurvideo von einem Besuch des ehemaligen Sendeareals bei Herzberg
- https://www.youtube.com/watch?v=C8LsiQRlMNA – Filmbeitrag der Lausitzer Rundschau, ebenfalls mit Begehung der Gegend