#38: Aber dann… aber dann.
#38: Aber dann… aber dann.

#38: Aber dann… aber dann.

Es ist Oktober (Danke, Maren, für die Zeitansage, wäre sonst sicher nicht aufgefallen). Die Nächte sind schon seit einer Weile spürbar länger geworden – nicht nur in Berlin-Kreuzberg, obwohl sie dort durch den eingängig bekannten Gassenhauer der Gebrüder Blattschuss die Fama erlangten, sich in außergewöhnlichem Umfang zu ziehen.

„Frühmorgens wach` ich auf, sechzehn Uhr zehn, die ganze Welt scheint sich um mich zu dreh’n. Nur im Magen fühle ich mich nicht so recht, eins von den dreißig Bierchen gestern war wohl schlecht.“

1974 war’s, als der Komponist und spätere Blattschuss-Frontsänger-Klampfer Beppo Pohlmann (* 1951) diese intellektuell anspruchsvollen Zeilen zu Papier brachte. Nachrichtlich passierte das in einer Eckkneipe zwischen Liegnitzer und Reichenberger Straße, bekannt für eine besonders bunte Mischung an Stammgästen. Nun war und ist Pohlmann ausgewiesener Blödelbarde, aber selbst er hielt seine Kreation von Anfang an nicht für ernsthaft präsentabel. Kreuzberger Nächte taugte ihm maximal als Rausschmeißer am Ende seiner Konzerte, lediglich eine Parodie auf Stimmungs- und Sauflieder sollte die Nummer sein. 1976 gründeten sich die Gebrüder Blattschuss im Folk-Club Go In in der Bleibtreustraße, aber erst 1978 wurde der Song für das zweite Album Bla-Bla-Blattschuss eingespielt und breiter veröffentlicht – beiläufig, und nur, weil noch Platz auf der LP übrig geblieben war.

„Ich seh schon doppelt und das aus gutem Grund, denn in Eckkneipen geht es nun mal rund.“

Der Künstler und seine Mitstreiter Jürgen von der Lippe, Hans Marquardt und Harald Wolff konnten damals noch nichts von Poe’s Law (2005) ahnen: Ohne ausdrückliche Kennzeichnung ist es nicht möglich, eine gute Persiflage so zu gestalten, dass sie nicht als das eigentlich zu Persiflierende missverstanden würde. Das Unvermeidliche passierte. Beim Sender Freies Berlin gelangte das Lied in die Heavy Rotation, ging kommerziell durch die Decke und hielt sich 24 Wochen in den westdeutschen Single-Top-50. Unversehens fand sich die Kombo, die zuvor eher in linksalternativen Venues zu Hause war, sogar in Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade wieder – nach von der Lippes Band-Ausstieg nur noch als Trio und zuerst widerwillig. Die zugesagte Gage von 1000 Mark pro Person war jedoch eine enorme Überzeugungshilfe.

800000 Exemplare der Single wurden verkauft, am 23. Oktober 1978 erreichte sie mit Platz 2 ihre Top-Positionierung in den Charts. Von den Erträgen kann Beppo Pohlmann bis heute seinen Lebensunterhalt bestreiten. Die Gebrüder Blattschuss gibt es immer noch, Pohlmann tritt seit 1988 im Duett mit Kalle Ricken auf. Die Gruppe ist inzwischen vor allem auf Stadt- und Betriebsfesten zu erleben.

Mehr Lesestoff

* https://tabs.ultimate-guitar.com/tab/2255963 – „Kreuzberger Nächte“ – Akkorde für Ukulele

* https://www.srf.ch/radio-srf-musikwelle/schlagermosaik/gebrueder-blattschuss-kreuzberger-naechte-eine-fuellnummer-im-doppelten-sinne – SRF: „Kreuzberger Nächte“ – eine Füllnummer im doppelten Sinne

* https://www.kreuzberger-chronik.de/chroniken/2018/maerz/geschichten.html – Kreuzberger Chronik (197/2018): Das Lied der langen Nächte

* http://www.rockarchiv.infopartisan.net/doku/doku006.html – Archiv Rock und Revolte: Der Blickpunkt 206/1971, S. 32ff. Sause durch linke Pinten.

* https://www.go-in-berlin.com/gebr%C3%BCder-blattschuss – Gebrüder Blattschuss im Go In

Maplink

* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.49434&mlon=13.43515#map=17/52.49434/13.43515 – Ehemalige Kneipe Alt Berlin in Kreuzberg

* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.50312&mlon=13.31945#map=17/52.50312/13.31945 - Früherer Folk-Club Go In in Charlottenburg