#41: Waldemar – nur kurz ein Star
#41: Waldemar – nur kurz ein Star

#41: Waldemar – nur kurz ein Star

Die Stadt Treuenbrietzen im Landkreis Potsdam-Mittelmark hat um die 7500 Einwohner und wurde zuerst im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Anfangs ist sie allerdings nur als „Britzen“ oder „Vritzen“ belegt, möglicherweise nach einem slawischen Wort für „Birke“. Der Beiname kam also später hinzu, offenbar würden sich die Bewohner*innen in der Folge einmal durch besondere Loyalität auszeichnen. Nur – zu wem oder was?

Im Sommer 1319 starb Waldemar der Große, Markgraf der Mark Brandenburg, im Alter von nur 28 Jahren an einer nicht überlieferten schweren Erkrankung und wurde im Kloster Chorin bestattet. Die Ehe mit seiner Cousine Agnes von Brandenburg (1298-1334) war kinderlos geblieben, sein Nachfolger Heinrich II. (ein Vetter näheren Grades als Agnes) war bei Waldemars Tod erst elf Jahre alt und überlebte das Jahr 1320 selbst nicht vollständig. Weitere männliche Thronkandidaten in der Familie gab es nicht mehr, damit war die Askanierlinie in Brandenburg ausgestorben. Das Gebiet fiel zurück an den Lehnsherren Ludwig den Bayer (1282-1347), Wittelsbacherkönig des Heiligen Römischen Reiches; dieser ernannte im Jahr 1323 seinen Sohn Ludwig V. (1315-1361) zum neuen Markgrafen.

Soweit alle Klarheiten beseitigt? Dann Bühne frei für… Waldemar den Wiedergänger, sozusagen. Im Sommer 1348 empfing der Magdeburger Erzbischof Otto einen unbekannten älteren Mann in Pilgerbekleidung. Wie zum Beweis einen Siegelring vorzeigend, identifizierte sich der Fremde als tatsächlich gar nicht verstorbener Waldemar der Große – er habe seinen Tod fast dreißig Jahre früher lediglich vorgetäuscht, um unbelastet ins Heilige Land zu pilgern und damit ein sehr altes Gelübde zu erfüllen. Und nun verlange er seine Herrschaft über die Mark Brandenburg zurück. Wer der Mann tatsächlich war (die Vermutung geht in Richtung eines Müllergesellen namens Jakob Rehbock), ist ebenso spekulativ wie die Deutung, wie er mit dieser hanebüchenen Geschichte durchkommen konnte: Haben wir es hier mit einem außergewöhnlich charismatischen Schauspieler zu tun, mit einem mittelalterlichen Politkrimi, oder mit beidem?

Tatsächlich erkannte Otto jedenfalls die Forderung des falschen Waldemar auf den brandenburgischen Thron an. Und nicht nur dieser, denn für die askanischen Linien in Sachsen-Wittenberg und Anhalt war das Auftauchen des Hochstaplers ein Glücksfall, wenn nicht sogar mehr. Historiker*innen vermuten stark, dass der gesamte Coup von vornherein, mit Fake-Waldemar als Marionette, durch die Askanier lanciert worden war. Ihnen wie Teilen der märkischen Bevölkerung war die süddeutsche Herrschaft schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Den Emporkömmling sahen sie als möglichen Hebel und standen ihm militärisch gegen die Wittelsbacher zur Seite, die inzwischen ihrerseits eilig ein Heer zur Verteidigung ihrer Ansprüche ausgehoben hatten. Denn auf dem römisch-deutschen Thron saß inzwischen der Luxemburger Karl IV., ein Gegner der Bayern, dem es in Abstimmung mit den Askaniern durchaus gefiel, den falschen Waldemar höchst amtlich mit Brandenburg zu belehnen und seinerseits Truppen zu schicken. Mit derlei stabilem Rückhalt – wohl wie gesagt mehr aus Kalkül denn aus Überzeugung – führte Zombie-Waldemar einen selbstbewussten Huldigungszug durch die Mark. Die Reaktionen in den Städten waren gemischt, die Mehrheit der Brandenburger*innen erkannte den Schwindel der Überlieferung nach wohl, spielte aber aus Sympathie mit oder Furcht vor den starken Unterstützenden mit. Ausnahmen waren Beelitz, Frankfurt/Oder sowie… Brietzen. Die Stadt hielt unverbrüchlich zu Ludwig V. und versperrte dem falschen Waldemar samt Gefolge gewaltsam die Tore, aus dem entstehenden Kampf gingen die Wittelsbacher siegreich hervor.

Insgesamt zog sich der Krieg um die Mark Brandenburg – einschließlich übrigens einer Belagerung Berlins, nachdem Dänemark auf bayerischer Seite in den Konflikt eingetreten war – über etwa zehn folgende Jahre hin. Die Bayern gewannen zunehmend die Oberhand, was König Karl IV. bereits im Jahr 1350 unter Druck setzte, Sachsen-Wittenberg und Anhalt die Unterstützung wieder zu entziehen und den falschen Waldemar öffentlich als Betrüger zu schelten. Für diesen blieben die Folgen gering, er verbrachte seine letzten Jahre bis 1356 unter askanischem Schutz und wurde weiterhin einem Fürsten entsprechend behandelt. Am Ende verloren die Askanier aber fast alle zwischenzeitlich beanspruchten Gebiete wieder, Brandenburg fiel an Bayern zurück. Und Brietzen erhielt neben einigen städtischen Privilegien seinen dauerhaften Ehrentitel: Treuenbrietzen.



Mehr Lesestoff

* https://www.sueddeutsche.de/leben/waldemar-geschichte-pilger-1.5257781 – Süddeutsche Zeitung (15.4.2021): Der falsche Waldemar

* https://www.projekt-gutenberg.org/alexis/woldemar/titlepage.html – „Der falsche Woldemar“ – Roman von Willibald Alexis, 1842

* https://www.deutsche-biographie.de/sfz56422.html – Deutsche Biographie: Waldemar, Markgraf von Brandenburg


Maplink

* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.0969&mlon=12.8716#map=15/52.0969/12.8716 – Treuenbrietzen


Musiktipp

* https://www.youtube.com/watch?v=11kX_yy-JZE – Sushila Sara Mai: „Er heißt Waldemar“