Die einstige Teilung Berlins lässt sich an vielen Details des Stadtbildes auch noch mehr als dreißig Jahre später ablesen. Seien es unterschiedliche Lichttemperaturen der Straßenbeleuchtung, allen Vereinheitlichungstendenzen trotzende West-Ampelmännchen oder auch der Umstand, dass die Tram nach wie vor ganz überwiegend in der früheren Osthälfte unterwegs ist.
Sehr ikonisch wirken aber auch die Straßennamensschilder. Als landläufig „berlinig“ gilt heute der Standard, der in den 1950er Jahren für West-Berlin eingeführt wurde: auf weißem Grund eine schwarze, nüchtern-geometrisch wirkende, serifenlose Schrift mit charakteristischen Ligaturen im „ß“ und oft auch „tz“. Ihre Wurzeln liegen in der Frankfurter Erbar Grotesk des Jahres 1922, überarbeitet in den 1940er Jahren mutmaßlich vom Berliner Schriftgestalter Herbert Thannhaeuser (1898-1963). Anfangs wurde der emaillierte Schildkorpus aus Blech im Westen einfach bemalt, später passte mensch sich dem jeweiligen technischen Fortschritt in der Drucktechnik an.
Auch wenn Schilder sukzessive bevorzugt als West-Versionen (oder nach DIN 1451) erneuert werden, lassen sich die Ost-Berliner Varianten mit ihrem deutlich schmaleren Schriftbild noch häufig erspähen. Diese folgten einem ausgesprochen robusten Herstellungsprinzip: Die Rohlinge waren aufgebaut wie ein Sandwich, in dem eine schwarze Kunststoff-Lage zwischen zwei weiße geschichtet wurde. Durch Herausfräsen der Buchstaben aus den äußeren Schichten entstand ein sehr wetterbeständiges und ausbleichungsfreies Produkt. Ein Nebeneffekt des Verfahrens: Wo die West-Schrift gerade, kantige Endstriche zeigt, wirken diese bei der Ost-Variante rundlicher und weicher.
Mit dem Stadtentwicklungs-Kampagnenwechsel von be Berlin zu wir.berlin ließ der Senat im Jahr 2020 übrigens einen eigenen Font entwerfen, der Basis des aktuellen Corporate Design bildet, aber auch frei herunterzuladen ist. Berlin Type zeigt sich von den Straßenschildern deutlich inspiriert, den Link gibt es weiter unten.
(Fun Fact: Als „Grotesk“-Schriften werden grundsätzlich Schriftarten bezeichnet, die auf der Antiqua basieren, aber ihre Serifen verloren haben und einheitliche Strichstärken aufweisen. Als sie im frühen 19. Jahrhundert noch neu waren, wurde ihr grafisches Erscheinungsbild wohl tatsächlich als unüblich, seltsam, mithin grotesk wahrgenommen.)
Mehr Lesestoff
* https://weddingweiser.de/irgendwie-speziell-berliner-strassenschilder/ – Weddingweiser (22.9.2018): Irgendwie speziell. Berliner Straßenschilder
* https://www.morgenpost.de/berlin/article214284663/Wieso-sehen-Berlins-Strassenschilder-so-unterschiedlich-aus.html – Berliner Morgenpost (17.5.2018): Wieso Straßenschilder in Berlin so unterschiedlich aussehen
* https://korkmaennchen.de/diverses/berliner-strassenschilder/ – Willkommen bei den Korkmännchen: Berliner Straßenschilder
* https://wir.berlin/kampagnen/die-typo – Berlin Type: Die neue Berlin-Schrift