Sprachnachrichten bei Messenger-Diensten polarisieren. Die einen hassen sie wie Zahnweh, stellen beim Abhören genervt doppeltes Tempo ein und fragen sich, warum mensch nicht einfach telefonieren könne. Für andere erscheint es praktisch, sich nicht mit dem virtuellen Mäuseklavier moderner Smartphones herumschlagen zu müssen, sie finden auch Speech-to-text unnötig umständlich.
Wie mensch dazu stehen mag – es handelt sich um eine überraschend alte Erfindung, die lange in Vergessenheit geraten war und erst im 21. Jahrhundert zeitgemäß wiederbelebt wurde. Natürlich: Anrufbeantworter gibt es schon eine Weile, aber die sind nicht gemeint. Denn bereits in den 1930er Jahren gestattete es die deutsche Post, Sprachmitteilungen an beliebige Empfänger*innen zu übermitteln, die dafür keinen der noch raren Telefonanschlüsse besitzen mussten. Möglich machte es eine Idee aus Berlin.
Grammophone waren in den Haushalten seinerzeit so häufig anzutreffen, wie Mobiltelefone es heute sind (wenn natürlich auch weniger portabel 😉), daher lag das Übertragungsmedium nahe: Der sogenannte Sprechbrief wurde per Schallplatte verschickt. Deren übliche Spieldauer betrug eine Minute; die Absender*innen begaben sich zur Aufzeichnung in schalldichte Zellen angeschlossener Postämter. Dort beschrieb eine Plattenschneidevorrichtung die Trägerscheibe aus Decelith (Kunststoff) oder Metallophon (lackbeschichtetem Aluminium) in Echtzeit. Das Endergebnis konnte somit sofort nach Verlassen der Kabine versendet werden. Die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland befand sich ab August 1938 im Postamt 1, Berlin-Charlottenburg. Federführend in der technischen Realisierung war das Tempelhofer Elektronikunternehmen C. Lorenz, später bekannt als Standard Elektrik Lorenz. Ein erstes funktionsfähiges Modell eines „Sprechbriefautomaten“ mit Münzeinwurf hatteAEG jedoch schon zur Funkausstellung in Berlin 1931 präsentiert; zur selben Zeit wurden auch Plattenaufnahmegeräte für Privathaushalte verfügbar, blieben freilich für die Masse nicht erschwinglich.
Eine Anzahl von Sprechbriefen sind als Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg erhalten; es handelt sich dabei in der Regel um überwachte und gesteuerte Nachrichten im Sinne der NS-Propaganda, häufig aufgezeichnet von entsprechenden Kompanien der Wehrmacht und Waffen-SS. Die umfangreichste Sammlung von Exemplaren aus dieser Zeit hält das Deutsche Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main vor.
Mehr Lesestoff
* https://www.phono-post.org/ – Forschungsarchiv zur Geschichte des Sprechbriefs
* https://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/tsp/2014/ts_20141206/tagesspiegel-20141206-11-grammophon/index.html – Freie Universität Berlin (2014): Grüße aus dem Grammophon
* https://www.derstandard.at/story/2000136180305/schall-und-sprechbriefe-dont-write-send-a-record – Der Standard (1.6.2022): Schall- und Sprechbriefe: Don’t write, send a record!
* http://www.feldpost-archiv.de/pdf/Hinkel_Phonopost.pdf – Udo Hinkel (1998): Ein vergessenes Medium: Phonopost im Zweiten Weltkrieg (1940-1944).
* https://www.hertener-allgemeine.de/ueberregionales/kommunikation-sprachnachrichten-einbahnstrasse-polarisieren-w1773239-8000215865/ – Hertener Allgemeine (20.7.2022): Sprachnachrichten. Warum die Einbahnstraßenkommunikation so polarisiert