#50: Liqueurchen am Cotti?
#50: Liqueurchen am Cotti?

#50: Liqueurchen am Cotti?

Wir schrieben 1996, als das Känguru offiziell sein H verlor. Ja, Razupaltuff noch mal! Schuld an dem alopezischen Schlamassel war nicht etwa ein nerviger Mitbewohner namens Marc-Uwe. Sondern die deutsche Kultusminister*innenkonferenz, die gleichzeitig auch den lexikalischen pH-Wert des Delfins beträchtlich reduzierte. Die positiven Auswirkungen auf das Portmonee der Schulbuchverleger*innen waren aber durchaus ernst zu nehmend, und auch Lehrkräfte mussten wieder häufiger, manchmal widerwillig, neue Duden zurate ziehen. Nein, die Rechtschreibreform hatte nicht nur Freund*innen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beispielsweise zog die „alte“ Orthographie bewusst noch bis 2007 durch und folgt nach wie vor Hausregeln, die dem Standard nicht völlig entsprechen.

Aber wie lange hatte die „alte“ Schreibvorschrift eigentlich existiert? Die Antwort lässt sich genau auf das Jahr 1901 beziffern. Trotz der Reichseinigung 1871 hatte es zeitnah keine gesamtdeutschen Regeln gegeben; einzelne Länder gingen jahrzehntelang eigene Wege, in Preußen wurde im Detail anders geschrieben als in Bayern. Die Zweite Orthographische Konferenz sollte dem ein Ende bereiten und räumte mit einigen Archaismen wie Epheu, probiren und todt auf. Der Liqueur wurde zum Likör, das Thor zum Tor, Cöln zu Köln und Cassel zu Kassel – generell war die Absicht, ein führendes C in deutschen Ortsnamen tendenziell zu verbannen (Leises Gelächter aus Celle und Clausthal-Zellerfeld). Da die betroffenen Gemeinden nicht nach ihrer Meinung gefragt wurden und dies Widerstände auslöste, haben sich de facto und später auch de jure auf der Landkarte sehr unterschiedliche Resultate ergeben.

Dies ist der Grund, warum wir heute mit der U-Bahn am Kottbusser Tor halten. Und nicht am Cottbuser Thor. Berlin hielt sich (was uns heute untypisch erscheinen mag) streng an die neuen Richtlinien und benannte den 1902 eröffneten Bahnhof bereits drei Jahre später so, wie wir es gewohnt sind. Den Ratsleuten in Cottbus minderkonvenierte das zwar, sie wollten ihr C gern behalten und haben sich zu Hause damit auch sichtlich durchgesetzt – nur halt nicht in Berlin. Auch hier ist mensch gern stur, und deswegen mündet der Kottbusser Damm hinter der Kottbusser Brücke auch in die Kottbusser Straße. Lediglich die Frage der Schreibweise mit einem oder zwei s blieb noch einige Jahre ungeklärt.

Abschließend eine weitere Anekdote zum Hochbahnhof: Bis 1927 befand er sich etwa 100 Meter weiter östlich auf der Skalitzer Straße, bis er im Laufe des Ausbaus von Linie D, heute U8, sukzessive abgerissen wurde. Ihn ersetzte das oberirdische Gebäude am heutigen Standort direkt auf dem Platz, es entstand ein Umsteigebahnhof. Ein vergleichbares Bauprojekt hieße aktuell wohl mehrere Jahre Ersatzverkehr mit Bussen – seinerzeit wurden die Züge abenteuerlich, aber tatsächlich zwischenfallsfrei über seitliche provisorische Viadukte aus Holz vorbeigeleitet, so dass die Strecke ununterbrochen blieb.


Mehr Lesestoff

* https://www.berliner-woche.de/kreuzberg/c-verkehr/wie-das-k-zum-kotti-kam_a138640 – Berliner Woche (9.12.2017): Wie das K zum Kotti kam

* https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/historischer-hintergrund-was-das-kottbusser-tor-mit-cottbus-zu-tun-hat-38250578.html – Lausitzer Rundschau (2.1.2019): Was das Kottbusser Tor mit Cottbus zu tun hat

* http://www.u-bahn-archiv.de/aufnahmen/1905ca_kottbusser_tor.jpg – Aufnahme des alten U-Bahnhofs Kottbusser Tor von 1905

* https://signalarchiv.de/Meldungen/pics/201902_90-jahre_02.jpg – undatierte Fotografie zwischen 1927 und 1929, Gleisumleitung während des Bahnhofsbaus

* http://www.berliner-verkehrsseiten.de/u-bahn/Stellwerke/Stw_Kbo/stw_kbo.html – Berliner Verkehrsseiten: Stellwerksbezirk Kottbusser Tor U1


Maplinks

* https://www.openstreetmap.org/?mlat=52.4990&mlon=13.4182#map=16/52.4990/13.4182 – Kottbusser Tor, Berlin

* https://www.openstreetmap.org/?mlat=51.7513&mlon=14.3222#map=13/51.7513/14.3222 – Cottbus